Schlieffen: Martin Ernst v. S. wurde am 30. October 1732 zu Pudenzig bei Gollnow in Pommern geboren. Seine Eltern waren Hans Michael v. S. und Anna Helena v. Petersdorff. Schon 1745 kam er in das v. Bredow’sche Garnisonregiment („Besatzungs-Schaarheit“) in Berlin, das v. Münchow befehligte, das aber bald in kleine Garnisonen (Eberswalde, Bernau, Tcmplin) verlegt wurde. Von eifrigem Streben nach Fortbildung durchdrungen, widmete sich S. in diesen Jahren einförmigen Garnisonlebens fleißig der Lectüre. Nach 4 Jahren wurde er zur Garde nach Potsdam versetzt und dem König Friedrich II. vorgestellt. Hier lernte er mit großem Eifer mehrere fremde Sprachen und zwar auf sich selbst angewiesen, da er nicht die Mittel hatte, um Lehrer zu bezahlen. 23 Jahre alt erkrankte er an Engbrüstigkeit und mit Fieber verbundenen Lungengeschwüren, so daß er zur Erholung zu Verwandten auf das Land ziehen mußte. Als aber der achtwöchentliche Urlaub verlängert werden sollte, erhielt er statt dessen völlig unerwartet den Abschied. Nach seiner Genesung im J. 1757 eilte er nach Loschwitz[1] bei Dresden, um sich dem Könige wieder vorzustellen, dieser aber rief dem Hoffnungsfreudigen die Worte zu: „Herr, Er ist ja noch krank“, und es blieb bei der Verabschiedung. S. fand nun eine Officierstelle im Regiment des Prinzen v. Isenburg und trat dann in Hessische Dienste über, wo er 1757 noch Fähnrich, in den 6 Jahren bis 1763 bis zum General vorrückte und während dieser Kriegsjahre stets in höheren Adjutantenstellen, namentlich beim Herzog Ferdinand v. Braunschweig, verwendet (als „Feldhandbieter’ oder „Schaardienstbesteller“, wie er selbst sagt) sehr ersprießliche Dienste leistete. Im J. 1772 vom Landgrafen Friedrich II. zum Generallieutenant und Staatsminister ernannt, ward er der erste und einflußreichste Berather der Landgrafen Friedrich II. und Wilhelm IX., welche er auch auf zahlreichen Reisen durch Deutschland, Frankreich und die Schweiz begleitete. Eine derselben, nach Mannheim, hatte den Zweck, den Pfalzgrafen dem Gedanken eines Fürstenbundes geneigt zu machen, den S. nach dem siebenjährigen Kriege zu schließen plante. Dieser schöpferische und staatsmännische Gedanke des hessischen Ministers kam zwar damals nicht zur Reife und der Fürstenbund nicht zum Abschluß, immerhin aber darf mit v. Schlieffen’s Namen dauernd das rühmliche Andenken verbunden werden, daß er der erste gewesen, der den Gedanken zu einem Bunde der deutschen Fürsten gefaßt hat. 1776 während des Transportes hessischer Truppen nach Amerika war er als Gesandter in London thätig (als Oberfeldherr-Geschäftführer“). Im J. 1789 sah sich S. zum Rücktritt aus hessischen Diensten veranlaßt und er trat im April in preußische Dienste über, da er das Wohlwollen König Friedrich Wilhelm’s II., der ihn im J. 1788 in Berlin kennen gelernt hatte, besaß. Als preußischer Generallieutenant wurde er Gouverneur von Wesel und bald darauf erhielt er den Schwarzen Adlerorden. Noch in demselben Jahre wurde er zu einer diplomatischen Mission nach Holland und England verwendet, um mit beiden Höfen die Defension von Holland, wie auch die in Ansehung der brabantischen Unruhen von den drei alliirten Mächten zu nehmenden Maßregeln zu vereinbaren. Auch in den beiden folgenden Jahren erhielt er besondere Aufträge, 1790 militärisch-diplomatische gelegentlich der Vorfälle [517] in Belgien und dem Bisthum Lüttich, in das er als Oberbefehlshaber der preußischen Truppen einrückte, und 1791, als er die Bäder in Hofgeismar und sein Gut Windhausen besuchte, hatte er Aufträge an den Landgrafen von Hessen. Von allen diesen Missionen liegen viele ausführliche französisch geschriebene Correspondenzen vor. Als er dann im J. 1792 den Abschied nahm, zog er sich nach seinem hessischen Gute Windhausen zurück, lebte auch hie und da auf seinen mecklenburgischen Besitzungen. Von seinem bedeutenden Allodialvermögen und den Gütern Windhausen in Hessen, Schlieffenberg, Nieglew, Tolzin und Zierhagen im Schwerinschen stiftete er ein Majorat. In seiner Muße lebte er ganz den Wissenschaften, denen er auch früher schon einen großen Theil seines thätigen Lebens gewidmet hatte, wovon zahlreiche Schriften, die ihm auch die Ernennung zum Mitgliede der k. Akademie der Wissenschaften zu Berlin einbrachten, Kunde geben. Am bedeutendsten ist das 1784 in zweiter Ausgabe erschienene Buch „Nachricht von einigen Häusern der Geschlechter der v. Schlieffen oder Schlieben, vor Alters Sliwin oder Sliwingen“. Kassel 1784, Quart, 472 Seiten und 200 Seiten urkundl. Beilagen, eine vorzügliche Familiengeschichte, von der ein großer Abschnitt (S. 5–158) mit dem Titel „Von der Beschaffenheit des deutschen Adels in alten und mittleren Zeiten“ eine ausgezeichnete Abhandlung über die Geschichte des Adels enthält. In hohem Alter schloß er noch dasjenige Werk ab, welches uns über sein Leben die ausführlichste Kunde gibt; es ist nur für die Familie geschrieben und nicht im Handel, erst nach seinem Tode gedruckt und führt den Titel: „Einige Betreffnisse und Erlebungen M. E.’s v. Schlieffen“. Berlin 1830 (G. Reimer), 756 Seiten in Quart mit 334 Actenstücken zur Geschichte seines Lebens und seiner Zeit, ein höchst werthvolles Buch, welches aber durch die sonderbare Deutschthümelei im Stil, wovon wir oben einige Proben gaben, schwer lesbar ist. Es reicht übrigens nur bis 1793.[2] Ein Verzeichniß seiner übrigen Schriften steht im Neuen Nekrolog der Deutschen 1825 und bei Zedlitz. Bis in sein höchstes Alter hinein erfreute er sich großer Rüstigkeit, trotz (oder wegen?) seiner sehr eigenthümlichen Lebensweise: er band sich nämlich nicht an Zeit und Stunde, sondern legte sich zu Bett, wenn er schläfrig war, spät oder früh; sobald er erwachte, einerlei wann, stand er sogleich auf und widmete sich mit jugendlicher Kraft seinen Arbeiten. Erst am 15. September 1825 endete der Tod das reiche Leben des einsamen 93jährigen Greises zu Windhausen, wo er in dem selbst erbauten Erbbegräbniß beigesetzt wurde.
- Dohm, Denkwürdigkeiten III, 54 ff. – Neuer Nekrolog der Deutschen, 1825, S. 1527 ff. – v. Zedlitz, Pantheon des Preuß. Heeres II, 7 ff. – (König) Biograph. Lexikon u.s.w. III, 382. – Akten des K. Geheimen Staats-Archives.[3]
Zusätze und Berichtigungen
- ↑ S. 516. Z. 23 v. o. l.: Lockwitz. [Bd. 33, S. 799].
- ↑ S. 517. Z. 27 v. u. zuzufügen: Es gibt auch noch einen zweiten Band der Betreffnisse, welcher 1840 bei G. Reimer erschienen ist und die Jahre 1794–1799, Bruchstücke von 1800–1801, dann wieder 1805–1815 und Anhänge umfaßt. Die Jahre 1802–1804 sind ganz verloren. Der Band zählt von S. 757–1278. [Bd. 33, S. 799].
- ↑ S. 517. Z. 15 v. u. hinzuzufügen: F. Kapp, Der Soldatenhandel Deutscher Fürsten nach Amerika. Berlin 1874. [Bd. 33, S. 799].